Seit fast 30 Jahren lebe
ich in München und dieses Jahr war ich zum ersten Mal nicht auf der Wiesn.
Obwohl ich während der vergangenen Jahre
am, um und auf dem Oktoberfest gearbeitet habe, und obwohl ich erst in der letzten Zeit meine
Vorliebe für die Oide Wiesn entdeckt habe.
Zugegeben, am zweiten
Wiesnmittwoch hätte ich eine Ausnahme gemacht. Ich wollte meinen Freund
besuchen, der mit zwei Ständen auf der Wiesn vertreten ist. Die Anzeigetafel
vor der Tiefgarage in der Schwanthalerstraße zeigte mir auch schon über 20
freie Parkplätze an. Zum Glück rufe ich vorher an und erfahre daß er selbst an
diesem Tag gar nicht auf dem Oktoberfest ist, sondern in unserer alten Heimat
sein Karussell für den kommenden Christkindlmarkt vorbereitet. Die Schokoladenfrüchte
alleine locken mich nicht und so schleiche ich mich mit meinem Taxi über das
Westend aus dem Einzugsgebiet des Riesenfestes.
Zuhause habe ich in
meiner alten Keksdose Fotos aus meinen frühen Münchener Jahren vom Oktoberfest
gefunden. Auf dem Foto sieht man Wiesnbesucher auf dem Weg in die Bräurosl oder
zum Schottenhamel. Beim Betrachten ist mir sofort aufgefallen, daß Niemand,
aber auch wirklich Niemand einen Fetzen Landhaus trägt. Keine Dirndl, keine
Lederhosen, keine Hemden aus Sackleinen. Keine Bierfässer aus Polyesterfaser
Made-in-China, keine bayerischen Plüschlöwen mit baumelnden Tatzen, keine
grauen Spitzhüte Marke Dorfdepp auf den Köpfen der Leute.
Oktoberfest 1988 |
Markus Stoll aus
Regensburg, alias Harry G, ein Komödiant dessen YouTube-Filme
mir sehr gefallen, hat ein Video über die Entwicklung der Tracht veröffentlicht. Dabei erwähnt er, daß sich die
Bayern auf dem Fest in Zukunft daran erkennen, daß sie eben nicht als Bayern
auftreten, sondern in zivil mit Blue – Jeans und neutralem Hemd, gerade so wie
auf meinem Foto aus der Blechplatzerldose.
Heuer hat der neue
Oberbürgermeister Dieter Reiter das erste Faß angezapft. Im Gegensatz zu seinem
langjährigen Vorgänger Christian Ude, der die Aufgabe meist mit zwei gekonnten
Schlägen bewältigte, brauchte Reiter dazu vier Schläge. Ude hat auch, die
frische Maß in die Höhe streckend, den Trinkspruch; “Auf eine
friedliche Wiesn!“ eingeführt. Damit erweckte er mein Mißtrauen.
Seitdem verfolge ich nach dem Oktoberfest den Bericht der Münchner Polizei. Auch
diese Statistik unterliegt dem Wandel der Zeit. Früher wurde sie von
Körperverletzungen, bedingt durch die häufigeren und größeren Raufereien in den
Bierzelten angeführt. In unseren Zeiten nehmen Taschendiebstähle und sexuelle
Übergriffe zu.
Überhaupt faszinieren
mich die -> Daten zum Oktoberfest, die Unmengen von halben Hendeln, Ochsen, Brezen und
Hektoliter Bier die dort vertilgt werden. Ich kann mich an ein Heften der
Stadtwerke erinnern, daß ich vor Jahren in die Finger bekam. Ein Artikel beschäftigte
sich mit dem Stromverbrauch des Oktoberfestes. Eine Grafik verdeutlichte die
Werte. An der Linie, die zum Vergleich den Verbrauch Münchens darstellte,
konnte man bei Einbruch der Dunkelheit einen steilen Anstieg erkennen. Anders
als auf dem Oktoberfest; am Vormittag geht der Verbrauch fast senkrecht nach
oben, bleibt dann annähernd waagrecht bis zum Ende. Die elektrische
Beleuchtung, die am Abend noch zugeschaltet wird, fällt, angesichts der
mächtigen Elektromotoren der Fahrgeschäfte und der hunderte von Öfen und Herden,
kaum ins Gewicht.
Nicht statistisch
erfasst, aber von mir beobachtet werden die Moden, die sich wie der jeweilige
Wiesnhit, jedes Jahr ändern. Nach den bunten Hüten mit den aufgesteckten langen
Federn, von den Damen getragen, kamen die hölzernen Wäscheklammern mit
eingebrannten Namen oder Slogans. Der letzte Schrei auf der Wiesn 2014 waren
die beschrifteten Lebkuchenherzen, die nicht mehr wie früher um den Hals
hängend getragen werden, sondern in kleinerer Ausführung keck an die Taille
geheftet werden.
Der Code der sich hinter
der Position der gebunden Schleife der Dirndlschürze verbirgt, ist inzwischen
ein alter Hut, den die Gäste aus Kopenhagen dem Taxifahrer auf dem Weg vom
Hotel zur Bavaria, glauben erklären zu müssen.
Nach der Wiesn ist vor
der Wiesn, die Moden ändern sich, der Grant bleibt! Aber man wird doch noch
spitzen dürfen!